AFRIKA: GIPFELGLÜCK MOUNT KENIA| BY ANTJE WALDSCHMIDT

Hallo,

heute möchte ich euch vom Mount Kenia erzählen, einem erloschenen Vulkan und zweithöchstem Berg Afrikas. Ich habe mir den Traum erfüllt, hinaufzusteigen. Dabei habe ich tropische Hitze und Kälte durchlebt und bin auf eine faszinierende Pflanzenwelt, Mondlandschaften und abnehmende Gletscher gestoßen.

Wäre ich überhaupt aufgebrochen, wenn ich gewusst hätte, dass ich dafür mit einer meiner schlimmsten Nächte und einem der kraftzehrendsten Tage würde bezahlen müssen? Gleichzeitig aber auch mit einem besonderem Moment in meinem Leben: Denn was im Zeitalter sozialer Medien ein Schnappschuss unter Millionen ist, war für mich ein Moment der Ehrfurcht und Dankbarkeit … Denn wo, wenn nicht hoch hoben in den Bergen wird man sich seiner Winzigkeit, seiner Unbedeutendheit in der Welt wieder einmal bewusst, gepaart mit einem unendlichen Glücksgefühl. Einem Gefühl voller Stolz, kurzzeitig ein Teil dieser faszinierenden Naturgewalt zu sein.

gipfel

Doch Stopp der Schwafelei! Im Moment habe ich nämlich andere Sorgen. Ich liege oben auf dem Doppelstockbett und ein beißender Kopfschmerz hält mich davon ab in den ersehnten Schlaf zu fallen. Eingemummt in meinen Schlafsack lugt nur meine eiskalte Nase hervor. Dennoch spüre ich wie mein Körper vor Kälte zittert. Meine Füße sind Eisklumpen, ebenso meine Hände. Ich rolle mich ein, soweit wie das knarrende Holzbett es zulässt. Fünfmal muss ich in der kurzen Nacht aufs Klo. Ein grausiger Akt, der bedeutet, dass ich mich aus dem Schlafsack im kühlen Bett durch das noch kühlere Zimmer zur Toilette winden muss. Antje, du musst schlafen, sonst hast du nachher keine Kraft, sage ich mir immer wieder. Und ich ärgere mich: Ich könnte jetzt so schön bei meiner Familie in Berlin mit meinem Hund vorm Kamin sitzen, ein Weinchen trinken und Käsefondue essen. Was bitte mache ich hier?

valley view

Um kurz vor ein Uhr morgens hämmert der Schmerz so stark durch meinen Kopf, dass ich am liebsten den Rettungshubschrauber anrufen möchte, der mich ins sichere Tal bringt. Davon bin ich nämlich gerade weit entfernt: Denn ich befinde mich in den Schlafbaracken von Shipton auf 4200m Höhe. Und offensichtlich komme ich mit der Höhe nicht zurecht!

Habe ich mich nicht richtig akklimatisiert, bin ich zu schnell aufgestiegen oder nur erschöpft? Gern würde ich mir die Antwort geben, doch ich kenne sie nicht. Dabei hatte doch alles so schön angefangen …

sirimon hike

Kenias höchster Berg ruft

Mitte Juni in Kenia. Das afrikanische Land wird vom Äquator durchquert. Das heißt während auf der nördlichen Halbkugel Sommer ist, herrscht im Süden Winter. Ich habe mich von Nairobi, der Hauptstadt Kenias, nach Nanyuki aufgemacht. Hier treffe ich auf Martin, der meinen Plan teilt, den erloschenen Vulkan und höchsten Berg Kenias zu besteigen. So ist das Mount-Kenya-Massiv mit 5199m das höchste Bergmassiv des Landes. Und nach dem Kilimanjaro im benachbarten Tansania ist es auch das zweithöchste des Kontinents. Es liegt rund 16 Kilometer südlich des Äquators und ist seit 1997 Nationalpark und als UNESCO-Welterbe gelistet.

peaie

In Nanyuki treffen wir auf Anthony, Victor und Sammy. Anthony ist unser Bergführer, Victor Koch. Sammy ist „Träger“. Er wird just in diesem Moment von Anthony aus einer Reihe von rund 30 arbeitswilligen Trägern ausgewählt. Sie alle hoffen, uns begleiten zu können. Die Region um den Mount Kenia gehört zu einer der ärmsten des Landes. Wer für die Bergbesteigung einen Guide, Koch oder Träger engagiert, unterstützt die Gemeinde. Doch als Anthony meinen Rucksack bestaunt – wie immer Minimalgepäck – entscheiden wir, dass ein Träger ausreicht. Na ja, eigentlich entscheiden Martin und ich es spontan, als wir eine fixe Überschlagsrechnung machen. Grund ist, dass wir pro Tag und Person Trinkgeld vorgesehen haben. Knausrig wollen wir nicht sein, doch unsere Mittel sind auf drei Personen kalkuliert. So ziehen wir zu fünft los. Da mein Rucksack leicht und Martins deutlich schwerer ist, bin ich es, die am Ende keinen Träger hat. Eine Entscheidung, die ich in den folgenden Tagen ab und an verfluchen werde …

first camp

Bis zum Eingang des Mount Kenia Nationalparks am Sirimon-Tor auf 2650m Höhe fahren wir mit dem Auto. Nanyuki liegt auf 1947m und Nairobi, von wo ich an diesem Morgen angereist bin, auf 1795m. Für mich gilt es an diesem Tag bis zur ersten Schlafbaracke rund 1500 Höhenmeter zu überwinden. Ab 2500m wird von einer Überschreitung von mehr als 650 Höhenmeter pro Tag abgeraten. Der Körper muss sich erst akklimatisieren. Für viele wird es allerdings erst ab 4500m kritisch – und umso wichtiger, diesen Rat zu befolgen.

Vier Tage Abenteuer

Nachdem Anthony den Nationalparkeintritt für Martin und mich bezahlt hat, legen wir los. Wir hatten zuvor entschieden die Tour über einen Anbieter in Nairobi zu buchen, der Abholung, Parkeintritt, Guide, Koch, Träger, Unterkünfte und Mahlzeiten abdeckt.

Unsere gewählte Route war „Sirimon-Chogoria“, die als besonders schön gilt. Und das sollte unsere erste Wanderung auch bestätigen. Gemütlich ging es entlang einer Forststraße an Berg- und Bambuswäldern vorbei, bevor wir die höher gelegene Heidelandschaft erreichten. Die Vegetation wechselte mit zunehmender Höhe und so auch das Wetter. Während uns die Sonne anfänglich noch wärmte, fühlte es sich bereits am Nachmittag, als wir das Old Moses Camp auf 3300m erreichten, kühler an.

sirimon camp

Das Lager besteht aus zwei simplen Baracken, die Schlafsäle und eine große Küche bieten. Bei unserer Ankunft inspizierten Martin und ich sofort Aussicht und Anlage, während sich Anthony, Victor und Sammy direkt in die Küche begaben. Als bald darauf die Dunkelheit einbrach, konnte ich nicht glauben, wie kalt es geworden war. Über mein T-Shirt musste ich blitzartig drei Pullis, ebenso Mütze, Handschuhe und Winterjacke ziehen. Was für ein krasser Temperatureinbruch! Wie würde das erst morgen werden? Doch groß Zeit zum Nachdenken blieb nicht. Victor hatte bereits den Tisch im Flur gedeckt und ein Menü gezaubert. Leckerstes Gemüse – Kartoffelecken, frittierte Süßkartoffeln, Zucchini, Karotten – Omelette, Avocadotoast und Obst warteten auf uns. Glücklicherweise war Martin mit der vegetarischen Option einverstanden gewesen.

moon vegetation

Die erste Nacht war bereits kühl. Doch nachdem ich im Schlafsack etwas aufgetaut war, fiel ich in einen friedlichen Schlaf. Außer mir und Martin gab es in dieser Nacht keine Gäste im Camp. Dachten wir zumindest. Doch am späten Abend erreichte noch eine Gruppe indischer Wanderer die Hütte. Zu überhören waren sie nicht. Zugegeben: Wir waren früh schlafen gegangen. Draußen war es stockduster und bitterkalt, in der Hütte ebenso. Was gab es also Besseres, als sich voller Erwartung für den morgigen Tag auszuschlafen?

Tag Zwo: Riesenlobelien, Bäche und Kopfweh

Am nächsten Morgen überraschte uns Victor mit Pfannkuchen, Früchten und Kaffee. Beim Frühstück sollten wir dann auch die 12-köpfige Gruppe der Inder kennenlernen. Sie erzählten uns, dass sie am vorhergehenden Abend nicht bis zu unserem Lager gewandert, sondern mit dem Auto gefahren waren. So seien einige an diesem Tag erst aus Indien angereist und man hatte sich den ersten Aufstieg gespart. Ihre Zeit war begrenzt. Als ich das hörte, hatte ich bereits Zweifel, ob sie das schaffen würden. Mir fielen zwei ältere Frauen und eine zierliche 18-Jährige auf. „Sport machen wir nie“, erzählten sie. Der Berg sei eine Herausforderung und eine Art Familientreffen für sie …

stream

Die zweite Wanderung war besonders schön. Vorbei ging es an Büschen, Bächen und Flüssen sowie atemberaubenden Riesenlobelien. Doch schon bald nahm die Steigung zu und ich konnte nicht verleugnen, dass die Gruppe aus vier trainierten Männern in ihren Zwanzigern, ihrer dreißigjährigen Mitstreiterin ein strenges Tempo vorlegte. Ich bummelte. Aber es half nichts: schnellen Schrittes marschierte ich dem Quartett dann wieder hinterher. Zu Mittag aßen wir Toast, ein Ei, frittiertes Wurzelgemüse und Obst auf einem Felsvorsprung, mit Blick ins Mackinder Tal. Dann ging der Tagesmarsch weiter. Und irgendwann im Hochmoor, konnten wir in der Ferne auch schon den verschneiten Gipfel des Lenana erspähen. Unser Ziel!

hike

Der Lenana ist mit 4.985 Höhenmetern der dritthöchste Gipfel des Mount Kenia. Er ist das, was sich Hobbybergsteiger im Allgemeinen vornehmen. So sind die zwei höchsten Gipfel, der Batian mit 5.199m und Nelion mit 5.188m, nur für Profibergsteiger mit Kletterausrüstung zu erklimmen.

Je weiter wir uns dem Shipton Lager näherten, desto karger wurde die Vegetation und desto frischer die Luft. Das Tempo war noch immer zügig. Der Lohn dafür war, dass wir bereits am Nachmittag das Camp auf 4200m erreichten. Der Nachteil der, dass ein langsamerer Aufstieg meiner Akklimatisation besser getan hätte. Denn bereits ab 4000m Höhe fing ein leichter Kopfschmerz an mich zu behelligen, den ich bis zum nächsten Morgen nicht wieder los werden würde.

shipton

Rund zwei Stunden nach unserer Ankunft trudelten die indischen Männer mit zwei Frauen ein. Vom Rest keine Spur. Bei untergehender Sonne und einer fies einsetzenden Kälte stand ich mit Martin vor dem Camp, den Blick zum Berg gewandt. Eine riesige Felswand lag angestrahlt in gelb-orangener Farbe vor unseren Augen. Wir unterhielten uns mit dem Campwart, der uns von der Isolation und Ruhe erzählte, die er hier oben auf dem Berg spürte. Nur drei bis viermal im Jahr steigt er hinab. Wir lauschten seinen Geschichten, zumindest bis zu dem Punkt, wo ich mich verabschiedete, da mich Kälte und Kopfschmerz plagten. Die ernüchternde Antwort des Mannes ließ nicht auf sich warten: „Die, die abends Kopfschmerzen haben, die schaffen den Aufstieg nicht.“

shipton camp

Das Abendessen war wie immer köstlich, doch ich fror. Skihose, Pullis, Mütze, Winterjacke, Schal, alles was ich besaß, schmückte mich bereits. Vorm Schlafengehen gab es noch salziges Popcorn. Gerade als wir dabei waren es zu verspeisen, erreichten die zwei indischen Frauen schniefend die Baracke. Sie sahen nicht gut aus und verschwanden schnell im Schlafsaal. Von der jungen Frau keine Spur … Erst als ich im Begriff war ins Bett zu gehen, stürzte sie weinend, gestützt von zwei Trägern, in die Hütte. Sie wurde in eine Rettungsdecke gewickelt und erholte sich bei heißem Tee. Doch während wir uns für den Aufstieg am nächsten Morgen vorbereiteten, würde sie mit einem der Träger wieder hinab steigen …

Tag Drei: Aufstieg

Ich habe kein Auge zugetan. Mit klirrenden Zähnen frage ich mich, ob es das wert war, als auch schon der schrille Weckruf ertönt. Meine kurze, schlaflose Nacht ist beendet. Es ist zwei Uhr morgens, als ich mich für einen Kaffee an den Tische setze. Mehr gibt es nicht. Mein Kopf schmerzt noch immer, mir ist unfassbar kalt. Durch das Fenster sehe ich, wie die indischen Frauen Richtung Gipfel marschieren. Ich grübele: Bin ich fit genug? Kann ich es in meinem Zustand wagen – wo der Gipfel doch nur noch drei Stunden Aufstieg entfernt liegt?

Kurz vor drei Uhr wagen wir den Aufstieg. Es ist noch finstere Nacht. Langsam setzen wir uns in Bewegung, den sehr steilen Berg hinauf. Die Sicht mit Stirnlampe ist spärlich, jeder Höhenmeter strengt an. Bald merke ich, wie ich langsamer werde. Irgendwann verlieren wir Martin und Anthony: Sie laufen uns davon. Ich bummele hinter Sammy her, bleibe gefühlt alle zehn Meter stehen. Ich starre in die finstere Nacht, nur die steile Felswand des Lenana wird vom Mond beleuchtet. Sie ist mächtig. Schneebedeckt. Gewaltig. Der Gipfel scheint noch eine Ewigkeit entfernt. Nach zwei Stunden überholen uns die indischen Männer.

slow motion

Ich kämpfe. Jeder Schritt strengt an. Ich schniefe, habe das Gefühl immer schlechter atmen zu können. Doch irgendwann erreichen wir einen Bergsee. Ich lasse mich auf einem Fels nieder. Hier sitzen auch die indischen Frauen. Es ist meine letzte Chance umzudrehen, denn von hier gelangt man auf die Chogoria Route, die für den Abstieg geplant ist. Sammy sagt, ich solle wählen: Abstieg oder Aufstieg. Er deutet auf die Felswand. Ich zögere. Dann trifft er die Entscheidung: „Ich weiß, dass du das schaffst.“

Schlafende Gipfelstürmer

Steigung, diese Steigung: Mein Körper ist schlapp. Alle fünf Meter setze ich mich auf einen Fels. Ich schließe meine Augen. Wie schön wäre ein Nickerchen? Doch Sammy treibt mich an, aufzustehen. So zieht es sich die nächste Stunde. Wäre ich allein, würde ich wahrscheinlich einnicken. Mein Körper ist kraftlos, mein Geist nicht mehr klar.

sunrise

Langsam geht die Sonne auf. Abermals lasse ich mich auf einem Fels nieder. Ich blicke auf die Bergszenerie in goldenem Licht. Herrlich, denke ich, wie friedlich ich hier einschlummern könnte. Ist das nun die besagte Höhenkrankheit? „Nein, ist sie nicht. Ich habe Leute mit Höhenkrankheit gesehen“, sagt Sammy, „Du packst das.“ Ich weigere mich, bin überzeugt, dass ich absteigen muss. Meine Kraft lässt das nicht mehr zu. Da deutet Sammy auf den Gipfel. Es sind rund 20 Höhenmeter.

Wirklich? Soll ich so kurz vor dem Ziel aufgeben? Ich optiere dafür. So nah ich dem Gipfel auch bin: „System Körper“ ist kaputt, es gibt Wichtigeres im Leben. Sammy spricht mir Mut zu, es zu versuchen. Doch ich bin unterzuckert, habe keine Energie mehr! Warum gab es kein Frühstück? „Wir frühstücken nach dem Aufstieg. Victor ist im Tal und bereitet alles vor“, sagt Sammy. Davon werde ich nicht mehr viel haben, denke ich. Ich spüre, dass ich Zucker brauche: Energie. Sammy verspricht, dass ich auf dem Gipfel etwas bekommen werde. Das zieht. Mit letzter Kraft schleppe ich mich durch die Schneefelder. Vielmehr krabbele ich durch den Schnee, denn der Pfad ist schmal, der Abhang steil und ich taumele. Und siehe da: Lenana! Ich habe mein Ziel erreicht.

peak sleep

Der Ausblick ist atemberaubend. Wir sind hoch oben über den Wolken mit Blick auf das Mount-Kenya-Massiv bei aufgehender Sonne. Doch für die Schönheit – das Erhabene – habe ich gerade kein Auge. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zu Anthony. „Hast du was zu essen?“ Die ernüchternde Antwort folgt: „Wir frühstücken im Tal.“ Hätte ich die Kraft gehabt, wäre das der Moment gewesen in die Unendlichkeit zu schreien: „Nachher ist zu spät! Ich bin unterzuckert! Ich muss jetzt essen!“ Aber da ist keine Energie mehr. Ermattet lasse ich mich auf den Gipfel fallen, alle Viere von mir gestreckt. Jetzt ist mir alles egal: Ich bin dem Himmel ja schon recht nah. Das war´s dann also …

Hallo – ich bin noch da!

Das war´s zum Glück nicht! Ich werde es dem indischen Bergsteiger auf ewig danken, dass er mir seinen Schokoriegel gab. Nie zuvor hat ein Riegel so gut getan. Kaum, dass ich ihn verspeist habe, erweckt mein Körper wieder zum Leben. Leute – ich bin noch da!

Es folgen die Gruppenfotos am Gipfelkreuz, es folgt die Euphorie, es geschafft zu haben. Dieser Moment Teil des mächtigen Berges zu sein, die Ehrfurcht vor dem Naturwunder, ist unbeschreiblich. Die Aussicht auf Gletscher, Seen und Schluchten bei goldenem Licht sorgt für ein Gänsehaut-Feeling. All die Mühe, all die Strapazen, all die Sorgen, sie waren es wert gewesen. Ich danke Sammy, denn ohne ihn, würde ich hier nicht stehen.

crew

Bootcamp

Langsam steigen wir hinab. Es fühlt sich wie eine Mondlandschaft mit Bergseen an. Wir marschieren durch den Schnee, der unter den Wanderschuhen knirscht. Seit mehr als zehn Jahren besteigt Anthony den Berg. „Früher war der Gipfel immer schneebedeckt“, sagt er. Nun werde es von Jahr zu Jahr weniger … Eine ernüchternde Tatsache. Mir erscheint die Landschaft mit ihren glitzernden Seen und Gletschern atemberaubend schön. Doch ich kenne es nicht anders. Was durch die globale Erwärmung über die letzten Jahre weggeschmolzen ist, kann ich nicht beurteilen. Anthony schon. Und seine Bilanz klingt nicht gut.

moonscenery

Doch meine Sorgen sind wieder privater Natur. Klar, die Schoki hat mich gerettet, aber nun sind wir schon wieder mehr als eine Stunde unterwegs. Ich habe Hunger. Ich fange an, wie ein kleines Kind zu jammern. Doch nichts hilft. Die Mannschaft treibt mich an, weiter zu gehen. Ich bin ausgelaugt, habe keine Kraft mehr zu quengeln. Als wir schließlich Mintos Baracke auf 4300m Höhe erreichen, lasse ich mich auf die Picknickdecke fallen. Victor breitet ein grandioses Frühstück auf der Decke aus. Es gibt einen riesigen Obstteller, Pfannkuchen, Maisbrei und noch mehr Dinge, die mein Herz begehren. Allerdings: zu spät! Mein Hals fühlt sich wie zugeschnürt an und ich muss mich zwingen, überhaupt zu essen. Auf der Decke strecke ich mich aus.

lobelia

Doch das Bootcamp soll erst noch kommen. Denn nach einer halben Stunde bäumen sich Anthony, Victor und Sammy vor mir auf. „Wir müssen weiter. Der Abstieg zu den Mount Kenya Bandas (Holz-Bungalows) ist lang.“ Ich kann kaum glauben, was dann passiert. Hätte ich gewusst, dass ich nach dem Gipfelaufstieg noch rund 20km weiter wandern müsste – auf und ab – dann hätte ich … tja, was denn? Ich weiß es eigentlich nicht. Im Nachhinein sieht alles anders aus. Doch an diesem Tag nimmt der Mammutmarsch durch tropische Wälder, mit Zuckerbüschen gesäumte Pfade, Täler und Schluchten kein Ende. Zweifelsohne: Es ist wunderschön, die schönste Strecke der Tour, doch das nehme ich kaum mehr wahr. Wie eine Maschine folge ich meiner Truppe. Es erinnert mich an die letzten Meter eines Marathons, wenn die Beine nicht mehr wollen: nur noch der Kopf steuert. Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich die Bandas. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Baracken purer Luxus: Es gibt heißes Wasser und ein Kaminfeuer.

chogoria bandas

Den letzten Abend lassen wir gesellig mit dem Team ausklingen. Ich habe mich wieder erholt: Bootcamp überstanden.

Tag Vier: Abreise

Beim Frühstück ist auch mein Appetit zurück. Die Mount Kenya Bandas liegen auf knapp 3000m Höhe und der Ausgang des Nationalparks – das Chogoria Tor – auf 2950m. Bis dorthin sind es nur wenige Meter. Am Vormittag verlassen wir den Park.

Gern wäre ich die letzten zehn Kilometer noch durch den Bambus- und Regenwald gewandert, doch der Fahrer holt uns am Ausgang ab. Das Team will nach Hause zu den Familien. So fahren wir noch gemeinsam bis zur nächsten Stadt, wo sich unsere Wege trennen. Für mich geht´s zurück nach Nairobi …

protea

Fazit

Die vier Tage haben sich gelohnt: Sie waren einzigartig und werden mir unvergessen bleiben. Ganz nah am Äquator habe ich tropische Hitze und eisige Kälte erlebt und eine Vegetation gesehen, die gefesselt hat: tropischer Regenwald, blühende Täler, Mondlandschaften und faszinierende Pflanzen, wie die wundervollen Riesenlobelien. Dazu kamen Gebirgsbäche und Gletscher. Natürlich bin ich auch an meine Grenzen gestoßen – Minusgrade, extreme Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel (Symptome der Höhenkrankheit) sowie Erschöpfung, haben mir zu schaffen gemacht.

An dieser Stelle muss ich sagen, dass das Team toll war. Einzig beim Gipfelaufstieg ist ihnen ein Fehler unterlaufen: Mein Blutzuckerspiegel hätte nicht dermaßen absinken dürfen und das Gehirn zu wenig Zucker bekommen. Zittern und Heißhunger haben mir das signalisiert, gepaart mit Schwindel und Müdigkeit, was der Höhe und der Geschwindigkeit des Aufstiegs geschuldet war. Eine Banane oder Traubenzucker hätten mir als Notration genügt.

glaciar

Die Höhenkrankheit kann jeden treffen – unabhängig von Erfahrung, Alter oder Kondition – eine eindeutige Diagnose lässt sich selten stellen, sind doch Überanstrengung und Höhenkrankheit nicht immer leicht voneinander zu unterscheiden. Klar ist jedoch, dass ein zusätzlicher Tag der Akklimatisation und ein langsamerer Aufstieg mir gut getan hätten.

Dennoch hat mit die Besteigung des knapp 5000m hohen Gipfels auch Kraft gegeben und gezeigt, was möglich ist, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat. In diesem Falle ein wunderschönes!

Eure Antje

lenana sight

Anreise: Mehrere Fluglinien fliegen aus Deutschland nach Nairobi. Tour-Anbieter holen Wanderer in der Regel in ihrer Unterkunft ab.

Beste Reisezeit: Januar und Februar sowie August und September.

Kosten: Für Wanderungen im Nationalpark werden Gebühren fällig. Der Preis ist abhängig von der Länge der Tour. Drei Nächte kosten zum Beispiel 156 US-Dollar. Die meisten Wanderer buchen geführte Touren. Zusätzlich sollte für Bergführer, Träger und Koch ein Trinkgeld eingeplant werden.