Monday-Talk: Mr. Callboy

Es passiert selten, aber es geschieht. Da hat mich ein Mann doch allein schon mit seiner Optik so gecatcht, dass ich wirklich sehr enttäuscht gewesen wäre, wenn es zwischen uns kein Match gegeben hätte. Doch wusch: Da war es. Unser Match, meine Gelegenheit, mit diesem für mich zunächst sehr attraktiven Herren ins Gespräch zu kommen. Und so schrieb ich ihm.

Johann sah ein bisschen aus wie Joko Winterscheidt. Und ja, das fällt bei mir durchaus unter das Prädikat „attraktiv“. Er hatte mich mit seinen Bildern, nun mussten nur auch noch seine Nachrichten Freude machen. Und so war es, wir schrieben überaus sympathisch, schafften es, die „Standardfragen“ gekonnt zu umschiffen und kamen schnell in einen sympathischen Schreibfluss. Es schien ziemlich perfekt.

Irgendwann schrieb mir Johann seine Handynummer, sodass wir auf WhatsApp wechseln konnten, was schlussendlich das Schreiben einfach immer ein wenig charmanter gestaltet. Dort schlug er dann vor, dass wir doch einfach mal telefonieren könnten, statt uns ewig hin und her zu schreiben. Im Grunde ein überaus logischer & wundervoller Vorschlag – dennoch war ich erst einmal ein wenig verdaddert. Nun bin ich wirklich eine ganze Weile im Mühlrad der Tinderstories unterwegs und Johann ist tatsächlich der erste Herr, welcher mir ein Telefonat vorschlug.

Überrascht ob seines Einfalls, überwand ich kurze Zeit später meine vermeintlichen Hemmungen mit ihm per Telefonat zu kommunizieren und rief ihn an. Einfach so. Es erscheint unglaublich ironisch jene Worte niederzuschreiben, denn was habe ich bitte in meinen Teenie-Jahren unendliche Zeiten am Telefon verbracht? Ich hätte ein privates Call-Center betreiben können samt Auskunftsportal für Billigvorwahlen, wie sie Anfang der 2000er noch mehr als notwendig waren für pubertierende Mädchen mit Telefonitis, wie mein Vater den alltäglichen Wahnsinn bezeichnete.

Aber zurück zu Johann – wir telefonierten. Und nach einigen Minuten des „komisch fühlens“ kam auch hier jener Flow auf, welchen wir bereits im Chat erzeugen konnten. Über eine Stunde lang hatten wir uns vieles zu erzählen, tauschten uns aus und kamen beide zu der Meinung, dass wohl wirklich nichts gegen ein reales Treffen spräche. So verabredeten wir uns für einige Tage später auf einen Tee. Freitagabend, irgendwo in Friedrichshain war es dann soweit: Ich traf meinen, laut seinen Tinder-Bildern, gutaussehenden Joko-Verschnitt auf ein Heißgetränk.

Tja, das nun folgende Aha-Erlebnis kann man sich vermutlich zusammenreimen: Natürlich sah Johann in Echt nicht aus wie auf seinen Bildern aka wie ein etwas weniger hipstriger Joko Winterscheidt. Nein, in Real sah Johann etwas müde, etwas älter und irgendwie fertig aus. Wenngleich meine Umschreibung kaum einen Funken Charme versprüht: Er sah jetzt auch nicht scheiße aus, aber eben doch ganz schön anders, als ich es anhand seiner Profilbilder erwartet hätte. Nun gut. Ein gutes Gespräch versprach ich mir nach wie vor von unserem Abend, denn immerhin hatten wir dafür ja bereits unsere Generalprobe am Telefon abgehalten.

Doch auch hierbei machte sich nach und nach das zähe Gefühl von Enttäuschung breit. So richtig fanden wir in der Realität einfach keinen Flow. Was mich doch sehr ärgerte, denn irgendwie konnte ich auch nicht so recht ausmachen, weshalb auf einmal alles so furchtbar krampfig erschien. Hatten wir beide einfach zu hohe Erwartungen an unseren gemeinsamen Abend gehegt? Spürten wir beide direkt jenes Enttäuschungsgefühl, welches uns etwaige Bemühungen, um einen schönen Abend gar nicht erst versuchen ließ? Nun, wie dem auch sei: Nach einem Tee war Schluss.

Die Moral von dieser Geschichte mag wohl lauten, dass auch ein gutes Telefonat nicht vor Enttäuschung bewahrt. Aber irgendwie mag ich an dieser These noch nicht ganz festhalten. Immerhin war es eine gute Erfahrung, die einmal mehr die Frage aufwirft, weshalb wir uns immer mehr vor einem Anruf scheuen? Es könnte ja auch wieder selbigen Spaß bringen, wie wir ihn zu Teenie-Zeiten erleben durften.