Monday-Talk: Gewissensfrage.

In der heutigen Zeit scheint die Diskussion über Treue und vor allem Monogamie eine zunehmend brisante Stellung einzunehmen. Vor allem, wenn man sich wie ich recht häufig bewusst mit dieser vermeintlichen „Problematik“ auseinandersetzt. Aktuell lese ich beispielsweise das Buch „Wie wir lieben“ von Friedemann Karig. Ein Buch, in dem sich der Autor intensiv mit dem modernen Konstrukt einer Beziehung auseinandersetzt, dessen Entwicklung seit Urzeiten aufzeigt und vor allem die Geschichten von Paaren erzählt, die beschlossen haben, eine offene Beziehung zu führen. Ein Buch, dass man wohl nur jedem wärmstens empfehlen kann. Denn wenngleich ich noch mitten im Lesen bin, so hat das Buch doch bereits etwas mit mir gemacht: Ich hinterfrage mein Denken über Liebe.

Auch wenn ich bereits vor dem Erwerb des Buches der Meinung war, das eine Beziehung für mich vor allem auf stetiger Reflektion beider Partner beruhen sollte, so gibt Karig dem Ganzen noch eine weitere Dimension mit auf den Weg: kann offene Liebe die Lösung für manch ein Problem sein? Und sind nicht Liebe und Lust auch verschiedene Dinge? Verliert meine Liebe zu einem Menschen an Bedeutung, nur weil ich sexuell auch andere Männer begehre?

Ich bin noch lange nicht an dem Punkt, dass ich von mir behaupten könnte, nach solch einer Maxime zu lieben, aber ich finde es einen wichtigen Impuls. Nun, und wie das Leben doch so spielt, bringt mich Tinder aktuell zu einer korregierenden Fragestellung. Kann ich einen vergebenen Mann daten?

Als ich begann, mit Julius zu schreiben, ahnte ich nicht, dass mich diese Bekanntschaft schlussendlich zu einem Gewissenskonflikt führen würde. Denn just als wir merkten, dass die gegenseitigen Sympathiepunkte für ein Date passen würden, schrieb mir Julius, dass er mir nicht vorenthalten möchte, dass er eigentlich in einer Beziehung ist. Neugierig durch meine aktuelle Abendlektüre fragte ich ihn, ob seine Freundin denn über seine Abenteuerlust Bescheid wüsse?

Er verneinte.

Mir lag auf der Zunge ihn zu fragen, ob er denn Freude daran hätte, sie zu betrügen oder auch, was sie denn dazu sagen würde. Aber ich hielt an der Errungenschaft meiner neuen Lektüre fest und fragte stattdessen, ob er denn nicht mir ihr darüber reden könne?

Denn auch wenn ich es erstmal langsam angehen wollte, so fragte ich mich ab diesem Punkt auch, welche Zweck er mit unserem Date verfolgen wollte. Ging es um Sex oder um eine neue Partnerin, um endlich einen Grund zu haben, seine Freundin abzuschießen?

Augenscheinlich schien Sex in seinem Fokus zu stehen, denn Julius antwortete, dass er bereits versucht habe, seiner Freundin zu erklären, dass er gern etwas mehr Abwechslung haben möchte, sie jedoch dafür nur wenig Verständnis hätte. Wäre ich unter diesen Umständen noch immer bereit, ihm zu treffen?

Eine eindeutige Antwort auf diese Frage sollte mir auf die Schnelle nicht einfallen. Denn auch wenn ich fremdgehen verurteile, so hätte ich dennoch Interesse daran, mit diesem Typ ein Bier zu trinken und mit ihm darüber zu sprechen.